Herleitung der Differentialgleichung
VII. Warum Cosinus hyperbolicus?
Herleitung der Differentialgleichung
Hier geht es um die Physik bei einer frei hängenden Kette oder einem frei hängenden Seil.
Aus den physikalischen Gesetzen für die auftretenden Kräfte ergibt sich eine Differentialgleichung.
Die Lösung dieser Differentialgleichung führt genau auf eine Cosinus-hypberbolicus-Funktion.
Kräfte im Randpunkt B
Die Kette übt auf den Aufhängepunkt bzw. die Spitze des Pfeilers B eine Zugkraft FK in Richtung der Tangente an die Kurve aus.
Eine Kette (oder ein Seil) kann im Angriffspunkt nur eine Kraft in Richtung der Kette ausüben, denn sie kann keine Kraft senkrecht (quer) zur Kettenrichtung ausüben.
Die Zugkraft FK wird in eine horizontale Komponente Fhund eine vertikale Komponente Fv zerlegt:
Die Kraft Fv drückt den Pfeiler bei B nach unten in den Boden. Eine gleich große Kraft wirkt auch auf den Pfeiler bei A. Beide Kräfte zusammen entsprechen der Gewichtskraft der Kette, jeder Pfeiler trägt eine Hälfte der Kette.
Der Endpunkt der Kette bei B würde seine Position unter dem Einfluss dieser Kräfte verändern, wenn Fh und Fv nicht durch ebenso große Kräfte kompensiert würden.
Dadurch, dass der Pfeiler durch die Kraft Fv minimal zusammengedrückt wird, erzeugt er - wie eine zusammengedrückte harte Schraubenfeder - eine Gegenkraft -Fv, die nach oben gerichtet ist.
Die Kraft Fh biegt den Pfeiler minimal nach links, wodurch er eine Gegenkraft -Fh nach rechts auf das Endglied der Kette ausübt.
Diese Gegenkräfte sind in der Abbildung grün dargestellt.
Die Kräfte -Fh und -Fv ergeben zusammen die Kraft FP, die der Pfeiler insgesamt auf die Kette ausübt.
Kräftebilanz im Punkt P zwischen Tiefpunkt und Randpunkt B
Auf ein Kettenglied an dieser Stelle müssen sich alle Kräfte, die darauf wirken, auch wieder gegenseitig aufheben, denn sonst würde sich dieses Kettenglied aufgrund der resultierenden Kraft in eine andere Position bewegen.
Auf dieses Kettenglied wirkt eine Kraft schräg nach rechts oben, ausgeübt durch den Kettenabschnitt rechts von P, diese Kraft ist im folgenden GeoGebra-Applet grün dargestellt.
Schräg nach links unten wirkt die Kraft vom linken Abschnitt der Kette, in rot dargestellt.
Den Kettenabschnitt rechts von P können wir entfernen und stattdessen den Punkt P durch einen versetzten und verkürzten Pfeiler fixieren. Dann übt dieser Pfeiler die gleichen Kräfte aus wie zuvor der rechte Kettenabschnitt, und im ganzen Kettenabschnitt links von P ändert sich nichts:
Die Kraft Fk ist wieder in Richtung der Kette gerichtet.
Die vertikale Komponente Fv ist jetzt etwas geringer: Während der linke Pfosten unverändert das halbe Gewicht der ursprünglichen Kette trägt, hat der rechte Pfosten bei P nur noch das Gewicht des Kettenabschnitts rechts vom Tiefpunkt zu tragen.
Versetzt man den Punkt P in den Tiefpunkt, wird die vertikale Kraftkomponente sogar zu 0, denn dort verläuft die Kette horizontal und kann keine vertikale Kraft ausüben. Der rechte Pfosten hätte dort keinen Kettenabschnitt mehr zu tragen, sondern müsste nur noch die waagerechte Zugkraft kompensieren.
Die vertikale Kraft Fv ist gleich der Gewichtskraft des Kettenabschnitts rechts der y-Achse.
Die horizontale Kraftkomponente Fh ist jetzt im Endpunkt P der Kette noch genauso groß wie zuvor im Endpunkt B. Das kann man unterschiedlich begründen. Zum Beispiel muss der Pfosten bei P noch immer genauso viel Kraft nach rechts ausüben wie der Pfosten bei A (unverändert) nach links auf die Kette ausübt. Würden die von außen auf die Kette wirkenden horizontalen Kräfte sich nicht mehr ausgleichen, könnte die Kette nicht im Ruhezustand sein.
Die horizontale Kraft Fh ist unabhängig davon, wo sich der Punkt P auf der Linie der ursprünglichen Kette befindet.
Die Kettenlinie werde durch eine noch unbekannte Funktion beschrieben.
Die Steigung im Punkt P ist dann
.
ist dabei so groß wie die Gewichtskraft des Kettenabschnitts rechts der y-Achse und ist konstant:
.
1. Term für die Gewichtskraft
Die Masse des Kettenabschnitts von der y-Achse bis zum Punkt P ist proportional zu seiner Länge, also ist . Dabei kann man als Masse pro Längeneinheit interpretieren.
Für die Gewichtskraft dieses Abschnitts gilt
wobei der Ortsfaktor oder die Fallbeschleunigung ist, die auf der Erde ca. beträgt.
Die Länge des Abschnitts rechts der y-Achse ist
Wir setzen III in II ein und erhalten
2. Term für die horizontale Kraft
Die horizontale Kraft ist unabhängig von der Position des Punktes P auf der Kettenlinie.
Wenn P ganz am rechten Rand der Kette auf B liegt, ist , und die vertikale Kraft ist und gleich der Gewichtskraft der rechten Hälfte der Kette. Daher ist
Dabei ist die Masse und die Länge des Kettenabschnitts von der y-Achse bis zum Punkt B.
An dieser Stelle c gilt
Daraus folgt
3. Aufstellen der Differentialgleichung
Die Terme aus IV und VI werden in Gleichung I eingesetzt:
Dass sich und herauskürzen bedeutet, dass die gesuchte Funktion nicht von , also der Masse pro Längeneinheit, und auch nicht von der Fallbeschleunigung abhängt:
Eine leichtere oder schwerere Kette würde bei gleicher Länge und gleichem Pfostenabstand die gleiche Form annehmen, und bei anderer Fallbeschleunigung (z.B. auf dem Mond) wäre die Kettenform ebenfalls gleich.
Den konstanten Faktor auf der linken Seite ersetzen wir durch eine Konstante, z.B. durch .
Dann ist
Das unhandliche Integral verschwindet, wenn wir beide Seiten dieser Gleichung nach ableiten. Beim Ableiten des Integrals mit unterer Grenze 0 und oberer Grenze erhalten wir wieder den Integranden:
Auf der nächsten Seite wird gezeigt, wie eine Funktion gefunden werden kann, die Lösung dieser Differentialgleichung ist.