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Kleine Gewebelehre

Auf die Frage "Wann bilden drei Kurvenscharen ein 6-Ecknetz?" gibt es eine einfache Antwort: Meistens nicht! Andererseit kann man 6-Ecknetze sehr einfach herstellen: Man nehme ein Standard-Netz aus 3 Parallelen-Scharen und bilde es mit einer genügend stetigen und differenzierbaren Abbildung auf 3 Kurvenscharen ab. Beispielsweise bildet jede komplex-differenzierbare Abbildung ohne Nullstellen der Ableitung in einem offenen Bereich solch ein Standard-Netz sogar winkeltreu auf ein 6-Ecknetz ab!

6-Ecknetz aus 3 Geradenbüschel

  • Dass es sich bei einem Standard-Netz aus 3 Parallelenscharen um ein 6-Ecknetz handelt, ist leicht einzusehen: Die Translationen (Verschiebungen) in der Ebene sind kommutativ (vertauschbar). Oder man nimmt die Vektorrechnung zu Hilfe: die Vektoraddition ist kommutativ.
Für drei Geradenbüschel ist dies nicht so einfach zu erkennen: Streckungen mit verschiedenen Zentren sind nicht vertauschbar! Hier hilft z.B. das Doppelverhältnis, etwa für 4 Zahlen auf dem Zahlenstrahl:
Dieses Doppelverhältnis ist auch für komplexe Zahlen in der GAUSSschen Zahlenebene erklärt: dort liegen 4 Punkte auf einem Kreis, wenn ihr Dv reell ist. Betrachtet man die Situation im Applet oben rechts als Projektion der Geraden des einen Büschels auf die des anderen Büschels mit Hilfe der Geraden des 3. Büschels, so ergibt sich die 6-Eck-Eigenschaft aus der Tatsache, dass das Dv bei Projektionen erhalten bleibt:
Zu Ende gedacht, ergibt sich, dass die 6-Eckfigur sich schließt. An dem Beispiel sieht man, wie wichtig die Randpunkte für die Argumentation sind: Durch jeden Punkt der Ebene gehen 3 verschiedene Geraden aus den 3 Büscheln, und es gilt zumindest lokal die 6-Eckbedingung. Ausnahme: die Punkte auf dem Rand, das sind die Verbindungsgeraden der 3 Zentren. Von Interesse ist die Frage nach 6-Ecknetzen aus Kurven von bestimmtem Typ. Über 6-Ecknetze aus Geraden gibt der Satz von GRAF und SAUER (1929 3)) Auskunft:
  • Ein 6-Ecknetz aus Geraden besteht aus den Tangenten einer Kurve 3. Klasse.
Siehe Parabelnormalen, Kubik Tangenten, Ellipsen - Sechseck. WILHELM BLASCHKE stellte 1938 1) die Frage nach allen 6-Ecknetzen aus Kreisen. Diese Frage ist möglicherweise noch nicht beantwortet. Interessanterweise liegt für räumliche Kreisscharen eine Antwort vor, von Kreisscharen auf der Kugel abgesehen: Auf Tori liegen - möbiusgeometrisch gesehen - 4 Kreisscharen. Je 3 davon bilden ein 6-Ecknetz. Neben den Längen- und Breitenkreisen auf einem üblichen Torus (wikipedia) liegen weitere Kreisscharen: die VILLARCEAU-Kreise. Für 6-Ecknetze aus drei Kreisbüscheln ist die Aufgabe gelöst 2). Da Geraden möbiusgeometrisch Kreise durch sind, werden durch die Sätze über Geraden-6-Ecknetze auch manche Kreis-6-Ecknetze erfasst: die Kreise müßten einen gemeinsamen Punkt besitzen. WALTER WUNDERLICH hat 1938 4) über ein "besonderes Dreiecksnetz aus Kreisen" berichtet. Ein Bild von diesen Netzen haben wir bisher nur in dem Artikel von WUNDERLICH, und als Kopie davon in Artikeln von anderen gesehen. Quintessenz: Doppelt-berührende Kreise von bizirkularen Quartiken können ein 6-Ecknetz bilden. In einem Nebensatz erwähnt WUNDERLICH, dass diese Konstruktion auch für Tangenten und Kreise an Ellipsen und Hyperbeln möglich ist. Ein Bild hiervon haben wir bisher außer in den vorangegangenen Blättern noch nicht gesehen. Wie prüft man, ob ein Kurven-Netz ein 6-Ecknetz bildet? Die Methoden hierfür sind überraschend vielfältig:
  • implizit: sind die drei Kurvenscharen gegeben als Niveaulinien dreier reellwertigen Funktionen und gilt an jeder Stelle , so liegt ein 6-Ecknetz vor, falls genügende Regularitätsvoraussetzungen erfüllt sind.
  • die Lösungskurven von 3 ebenen Vektorfeldern X1, X2, X3 mit X1+X2+X3=0 sind genau dann ein 6-Ecknetz, wenn das LIE-Produkt [Xi,Xj] = 0 ergibt, eventuell nach Umnormierung der Vektorfelder (dies nur für Experten).
  • Entsteht eine der 3 Kurvenscharen als Bahnkurven einer einparametrigen Untergruppe der Bewegungsgruppe der Ebene, und werden die beiden anderen Kurvenscharen von dieser einparametrischen Bewegungsgruppe mitgeführt, so kann daraus ein 6-Ecknetz entstehen: das Kreisballett 2 ist ein Beispiel hierfür.
  • Gibt es an jeder Kurve der einen Schar eine Spiegelung, welche die Kurven der beiden anderen Scharen vertauscht, so kann ebenfalls ein 6-Ecknetz entstehen. (siehe Nur Ordnung!)
Diese Seiten mögen als Anregung dienen, weitere schöne und interessante Netze zu knüpfen. Und vielleicht findet jemand auch die Antwort auf BLASCHKEs Frage! Literatur: 1) Blaschke, W. Bol, G. Geometrie der Gewebe Berlin 1938 2) Füchte, W. Reelle ebene Möbiusgeometrie Diss. Freiburg i. Br. 1982 3) Graf, H. Sauer, R. Über dreifache Geradensysteme in der Ebene, welche ein Dreiecksnetz bilden Sitzungsb. d. bayr. Akad. d. Wiss. München 1929 4) Wunderlich, W. Über ein besonderes Dreiecksnetz aus Kreisen Wien 1938

Dieses Arbeitsblatt ist Teil des GeoGebra-books Sechsecknetze.

unten: Great Court des British Museums, London
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